6. PVH-Kongress goes digital
Die digitale Premiere war ein voller Erfolg.
Wegen der seit über einem Jahr anhaltenden Corona-Pandemie war für den 6. PVH-Kongress im Frühjahr 2021 eine Alternative zur Präsenzveranstaltung gefragt.
So fand am 19. März 2021 der 6. PVH-Kongress in einer verkürzten, Corona gerechten digitalen Form statt. 330 Personen hatten sich angemeldet, fast 270 Teilnehmeraccounts nahmen in der Spitze gleichzeitig teil.
Um 9:34 Uhr begrüßten Thomas Dammann, ZHH, und Stefan Horst, FWI, im Namen der veranstaltenden Verbände, FDM, FWI, ZHH und ZVEI, die Teilnehmer und erläuterten die ungewöhnliche Anfangszeit: So könnte bei Videokonferenzen durch das Entzerren der Einwahlpoints (wohl) eine bessere Übertragung erreicht, aber auch das Interesse der Teilnehmer erhöht werden. Sie dankten den Sponsoren, die dieses für die Teilnehmer kostenfreie Event ermöglicht haben, und dem IFH, für die technische und räumliche Unterstützung. Videokonferenzen seien im Alltag angekommen, so Stefan Horst, aber persönliche Kontakte seien durch nichts zu ersetzen. Ein Austausch untereinander ist weiterhin natürlich wichtig, so dass digital besser sei, als kein Austausch. Zur Branchenlage, so Thomas Dammann, könne man für den Werkzeughandel und PVH sagen, dass man 2020 mit einem blauen Auge davongekommen sei. Stefan Horst differenzierte dies für die Industrie etwas stärker. Für das laufende Jahr seien alle Prognosen verhaltener.
Schon traditionell eröffnete Dr. Kai Hudetz vom IFH gewohnt professionell den Kongress mit den Ergebnissen der neuesten Marktstudie und präsentierte die Zahlen überaus anschaulich. Diese Studie wird nun schon seit rund zehn Jahren fortgeschrieben und erlaubt so interessante Zeitreihenuntersuchungen. Die Beteiligung an der Marktstudie war trotz der schwierigen Lage im Spätherbst 2020 gut, wenngleich geringer als in den Vorjahren. Da die Verteilung auf Hersteller, Händler und Kunden aber im gleichen Verhältnis blieb, konnten Entwicklungen verglichen werden. Dr. Kai Hudetz hob einige markante Punkte heraus (Die vollständige Studie ist - wie in der Vergangenheit - den Sponsoren vorbehalten). Schwerpunkt der diesjährigen Studie war der Digitalisierungsdruck in Zeiten der Krise. Die aktuelle Lage wird sowohl aus Händler- als auch aus Herstellersicht kritisch gesehen. Zudem wird die Dynamik im Wettbewerb weiterhin stärker und der zunehmende Preisdruck (durch die Onlinevergleichbarkeit) macht den Händlern zu schaffen. Um mit den neuen Wettbewerbern (bes. Marktplätzen) und dem sich wandelnden Kundenverhalten mithalten zu können, sollten die bisherigen Prozesse angepasst und neue Impulse gegeben werden. Fachkompetente Mitarbeiter fördern den positiven Ruf des PVH. Diese müssen allerdings durch flexible und ggf. digitale Schulungen dazu befähigt werden, ihre Fachkompetenz aktuell halten zu können. Der Vertrieb über den PVH genießt beim Großteil der Hersteller weiterhin höchste Priorität, der Anteil stagniert jedoch. In diesen besonderen Zeiten zeigt sich die hohe Relevanz der Partnerschaft. Online zeigen sich gute Ansätze. So ist der Anteil an Herstellern und Händlern, die sich gegenseitig verlinken, größer geworden, die Anzahl an durchschnittlichen Verlinkungen hat jedoch noch Luft nach oben. Die Verlagerungen von Informations- und Beschaffungsprozessen ins Internet haben sich in Zeiten der Coronakrise nochmal beschleunigt. Der Anteil der Kunden, die sich online informieren, steigt weiterhin, Online-Marktplätze nehmen mehr Raum im Beschaffungsvolumen ein. Dies führt auch zu einem steigenden Anforderungsniveau der Kunden und hohen Erwartungen an digitale Services. Das Angebot digitaler Services kann Prozesse vereinfachen und gleichzeitig Kunden einen echten Mehrwert bieten. Die Prognose von 2015 – „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren“ – bewahrheitete sich nicht, die Realität ist deutlich besser. Die aktuelle Prognose ist deutlich verhaltener. Dr. Kai Hudetz bezeichnete die Studie als ganz besondere Studie in Zeiten der Pandemie und Thomas Dammann ergänzte, dass es noch vieles nach der Pandemie zu untersuchen gebe. Die Prozesse schleifen sich ein, werden normal. Alle Angebote, die einen Mehrwert bringen, werden bleiben. Es gibt kein digital oder analog mehr.
Nach einer kurzen Fragerunde, ging es beim 2. Vortrag virtuell nach Südtirol, wo Karl Grohe von der P. Grohe GmbH, Bruneck über „Big Data und Künstliche Intelligenz, die Potentiale und den Handlungsbedarf“ referierte. Karl Grohe gehört zum Future Lab, welches nach einer vom E/D/E initiierten Fahrt ins Silicon Valley 2017 gegründet wurde und die dortigen Ansätze auf den PVH übertragen will. Big Data, der strukturierte Umgang mit großen Datenmengen, sind die Basis für weitergehende automatisierte Vorgänge im Arbeitsalltag. Sei es in der Industrie oder im Handel. Die strengen rechtlichen Vorgaben in Europa sind dabei natürlich zu beachten. Google oder Amazon in den USA haben ganz andere Möglichkeiten der Nutzung. Vier Schritte kennzeichnen die Arbeit mit Big Data:
1.) Daten müssen systematisch beschafft werden: es gibt zahllose Berührungspunkte (so genannte Touchpoints) mit den Kunden, sowohl in der realen Welt (an der Theke, durch den Außendienst, durch Rechnungsversand) und auch virtuell (im Onlineshop, durch Mailkontakte, durch Social Media).
2.) Die gesammelten Daten müssen in ein einheitliches Format transformiert werden, damit sie automatisiert weiterverarbeitet werden können.
3.) Die Daten müssen sicher gespeichert werden. Hier sollten einerseits Standards eingehalten werden und eine möglichst große Flexibilität vorhanden sein. Es entstehen sehr große Datenmengen, die in einem sog. Data Warehouse gespeichert werden sollten.
4.) Mit den Daten muss gearbeitet werden. Entweder durch Menschen, die Auswertungen verschiedener Richtungen vornehmen, oder durch Maschinen, die bestimmte Algorithmen verwenden, um die Daten zu nutzen.
Big Data Analytics werden in vier Richtungen genutzt:
1.) descriptiv - beschreibend
2.) diagnostisch – Ursachen erforschend
3.) predictive – Prognosen erstellend
4.) prescriptive – Probleme lösend
Künstliche Intelligenz (KI) kann erst dann eingesetzt werden, wenn Big Data vorhanden sind. Machine Learning (Maschinen lernen) ist eine andere Bezeichnung für KI. Bestimmte Problemstellungen werden durch Maschinen gelöst. Beim Deep Learning werden neuronale Netzwerke geschaffen, die es den Maschinen ermöglichen zu agieren. Zum Beispiel werden aufgrund der Kundennummer dem Kunden passende Produktvorschläge unterbreitet, werden Kunden kontaktiert, wenn Verbrauchsmaterialien zur Neige gehen. Dieses sehr theoretische Thema wurde von Karl Grohe kompetent und verständlich erläutert. Durch die praktischen Beispiele wurde deutlich, dass hinter vermeintlich einfachen Dingen (personalisierte Angebote im Shop z.B.) sehr viel mathematisches und IT-Know-how steht.
Im Anschluss an die Fragerunde stellte Norman Koerschulte, Karl Koerschulte GmbH, Lüdenscheid, sein ambitioniertes Projekt „Per Drohne zum Kunden: Warenlieferung von Morgen“ vor. Der Wirtschaftsingenieur arbeitet wie Karl Grohe im Future Lab mit und verantwortet im digital aufgestellten Familienunternehmen die Bereiche Vertrieb, Digitales und 3D-Druck. Seit 1,5 Jahren verfolgt er das Projekt, Ware per Drohne zu den Kunden zu bringen. Auch im Privaten werden Drohnen inzwischen oft genutzt, beispielsweise um spektakuläre Fotos zu schießen, in der Landwirtschaft werden sie zum Düngen benutzt. Hier steuert ein Pilot eine Drohne. Als Lieferdrohnen werden autonome Drohnen benötigt, die von einem Leitstand aus gesteuert werden. Hier überwacht ein Pilot bis zu zehn Drohnen. Es war sehr aufwändig, die notwendige Infrastruktur zu erstellen und die erforderlichen behördlichen Auflagen zu erfüllen. Im Unternehmen gibt es eine eigene Werkstatt für die Drohnen, geflogen wird im 5G Netz, die Datenübertragung ist verschlüsselt. Seit November 2020 wird autonom geflogen, die Drohnen sind intelligent, haben eine gewisse Selbständigkeit, werden aber videoüberwacht, und der Pilot kann jederzeit eingreifen. Die aktuellen Drohnen können bis zu 11 kg transportieren, geplant sind bis zu 200 kg. Die Reichweite beträgt 40 bis 100 km und beim Kunden können verschiedene Landepunkte angeflogen werden, auch automatisierte Ladefahrzeuge können angesteuert werden. Koerschulte ist Vorreiter auf diesem Gebiet, viele glauben nicht, dass dies heute schon möglich ist. Seitens der Politik wird dieses Projekt finanziell unterstützt, da man bestrebt ist, den Verkehr auf der Straße zu reduzieren. Mittelfristig werde man nicht auf LKW zur Lieferung verzichten können, aber die Drohnenlieferung werde kommen. Norman Koerschulte wies auf die zahlreichen Bedingungen hin, die erfüllt werden müssten, vom Datenschutz, über eine eigene Fluglizenz bis zur Sicherheit, aber es sei schon „cool”, wenn man in Stellenanzeigen nach Piloten suche. Das Thema faszinierte die Zuhörer, die Norman Koerschulte im Anschluss eine Reihe von Fragen stellten. Er machte deutlich, dass auch ein mittelständisches Unternehmen mit 50 Mitarbeitern mit mutigen Entscheidungen erfolgreich neue Serviceleistungen erarbeiten und anbieten könne.
Nach diesen interessanten Vorträgen zogen Kurt Radermacher, FDM, und Cornelius Eich, ZVEI, ein Resümee des ersten PVH-Kongresses digital. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen sei es gelungen, eine ansprechende Veranstaltung mit beeindruckenden Persönlichkeiten, die „Erinnerungen an die Zukunft” hervorriefen, auf die Beine zu stellen. Ein herzliches Dankeschön wurde den Sponsoren des Kongresses ausgesprochen, ohne die dieses Format nicht hätte realisiert werden können. Das Engagement zeige die Bedeutung und Wertschätzung der Veranstaltung. Auch dem IFH dankten die Veranstalter für die Organisation und (technische) Betreuung sowie der Projektgruppe des Kongresses als auch dem ZHH-Team für die Unterstützung. Angst und Sorge seien schlechte Berater, man müsse die Chancen sehen und Lösungen in der Branche suchen, so Kurt Radermacher. Und Cornelius Eich ergänzte: „Es war eine super Veranstaltung, aber eine Bildschirmkonferenz ersetzt keine Präsenzveranstaltung. Deshalb hoffe ich auf einen 7. PVH-Kongress in Köln!” Kurt Radermacher stimmte dem zu und freut sich auch auf die kommende Veranstaltung - in Präsenz.
Mit einem herzlichen Dank an die Teilnehmer und dem Wunsch auf ein gesundes Wiedersehen beim 7. PVH-Kongress 2023, endete der erste digitale PVH-Kongress.
Kontakt
RA Thomas Dammann
Hauptgeschäftsführer des ZHH, Geschäftsführer des ZHH Bildungswerkes und der ZHH Dienstleistung | Mitarbeiter
Fachverband des Maschinen- und Werkzeug-Großhandels e.V.
Kurt Radermacher
Fachverband Werkzeugindustrie e.V.
Stefan Horst
ZVEI - Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.
Maria Marinelli